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Montag, 7.9.1942
In der Firma hatte ich diesmal Sonntagsdienst. Es scheint, die Vernichtungsaktion wird mit der grössten Anstrengung geführt und zugleich nähert sie sich wohl ihrem Ende. Man weiss, dass einige Menschen am Leben bleiben - für wie lange? Es sollen 40000 bis 60000 Bewohner überleben. Gestern bekamen diese Glücklichen sogenannte Lebensnummern. Deshalb mussten sich alle Juden frühmorgens in der Mila-, Niska- und Smocza-Strasse sammeln. Wer diese Menschenmasse nicht sah, der kann sich ihre Furcht überhaupt nicht vorstellen. Diese riesige, verstörte, machtlose und zugleich vor Angst und Unruhe brodelnde Menge bewegte sich langsam zu den Toren, wo die Auslese stattfand. Neben den Gendarmen und SS-Männern standen die Arbeitsherren der zerschlagenen Juden: Schulz und die Direktoren der übrigen Fabricken. Die Leute gingen nach Arbeitsplatz und Wohnort geordnet. Viele hatten Bündel und Lebensmittel mitgenommen. Unverbesserlicher Trieb, etwas zu besitzen! Hier habe ich nun furchterregende Dinge gesehen, vor allem die Trennung der Kinder von ihren Eltern. Ein Mann mit einem sechsjährigen Kind und einem Säugling - die Frau war schon deportiert - hatte die Chance, am Leben zu bleiben, allerdings ohne seine Kinder. Er liess sie mitten auf der Strasse stehen und ging zu dem bewussten Tor. “Papa”, rief die älteste Tochter. Das vergesse ich nie. Eine Frau, die nur allein durchgelassen wurde, versuchte trotzdem, ihren kleinen Sohn durchzuschmuggeln. Ein Deutscher trennte die beiden und prügelte angesichts aller die Mutter mit der Peitsche, trat nach ihr und schlug ihr mit Fäusten ins Gesicht. Als er endlich von ihr abliess und die Frau zu sich kam, war das Kind schon fort. Es wurde mit den anderen weggetrieben. Ich habe die nach dem Kleinen suchenden Augen gesehen. Das vergesse ich nie. Ein alter, ungefähr achtzigjähriger Jude, wohl der Opa, kniete vor einem SS-Mann, einer zwanzigjährigen Rotznase, und flehte um das Leben eines Kindes, das er an der Hand hielt. Der Deutsche lachte. Das vergesse ich nie.
Donnerstag, 10.9.1942
Es wurden etwa 30000 “Lebensnummern ausgegeben. Es ist eine Karte mit einer handgeschriebenen, fortlaufenden Nummer, einem Stempel des Judenrates und einer Unterschrift. Viele Juden, die alle ihre Angehörigen verloren haben, wünschen sich den Tod und geben sogar unentgeltlich ihren Freibrief ab. Die Frauen der Offiziere, die in Offizierslagern leben, hatten auch Nummern erhalten, doch gestern waren sie alle auf dem Umschlagplatz, wo man sie ihnen wieder abnahm. Die Liquidation nähert sich ihrem Ende”.
Die Aussiedlung ist noch eine schämliche Seite der Geschichte vom 3. Reich. Viele am Leben gebliebene Häftlinge sind Zeugen dieses Alptraums. Ihre Erzählungen, Notitzen und Zeugnisse warnen uns, die Tendenz der neonazistischen Erscheinungen rechtzeitig zu bemerken und sie aus unserer eigenen Kräften vorzubeugen.
VI. Deportationen im Westen.
Holland wurde von Deutschen am 10. Mai 1940 besetzt. Seit dieser Zeit fürten Nazis ihre Aktionen auch hier durch. Die Nederlanden haben im Vergleich zu Russland, Polen, Frankreich nicht so viel erlebt. Es bestand kein Massenmord von Holländern. Es gab keine KZ, die so wie Buchenwald oder Auschwitz ins Buch der Schuld der deutschen Nation vor anderen Völkern eingetragen wurden.
Trotzdem wurden hier Juden nicht in Ruhe gelassen. Das beste Verfahren der Jagt auf Juden, die Nazis in diesem Land ausgewält hatten, waren Razzien. Holland musste von Juden gereinigt werden.
Wir führen ein kurzes Zeugnis von Heinz Landwirth, einen “Auszureinigenden”:
“Am 27. Mai hatte die letzte grosse Razzia stattgefunden. Man sah kaum noch Juden in den Strassen, aber noch immer wohnten Hunderte von Familien in der Afrikanerbuurt. Auch in der Stadionbuurt gab es einige jüdische Familien. Wer noch nicht abgeholt war, würde bald abgeholt werden, daran war nicht zu zweifeln. Es war jedenfalls höchste Zeit zu verschwinden. Gleichzeitig mit dem Persoonsbewijs - ich wurde Johan Gerrit Overbeek, geb. in Aalten, Gelderland, am 7. Jänner 1926 - bekam ich von der jüdischen Widerstandsorganisation die Adresse eines Bauern in Jutphaas bei Utrecht, zu dem ich mich zu begeben hatte. Ausserdem wurden mir Lebensmittelkarten für einen Monat ausgefolgt. Ich durfte den Persoonsbewijs selbst unterschreiben. Er war so gut, dass ich nie feststellen konnte, inwiefern er gefälscht war, und man sagte es mir auch nicht. Ich vermute, dass seine Nummer verändert war, aber das war unbedenklich, da man bei einer Strassenkontrolle nicht gleich fürchten musste, dass die Nummer überprüft würde. So hatte ich also jetzt alles in Ordnung, das Abenteuer konnte beginnen. Und rascher als erwartet begann es auch wirklich drei Tage später am Sonntag, dem 20. Juni 1943.
Реферат опубликован: 10/12/2006